Flüchtlinge

So ziemlich um die Ecke meiner Wohnung werden gerade Zelte aufgebaut. Wenn die Bäume kein Laub hätten, könnte ich sie vermutlich vom obersten Stockwerk des Hauses sehen. Jedenfalls höre ich die Akkuschrauber, die Sägen und anderes Gerät. Es sind 10-Personen-Zelte, in die in den kommenden Tagen (oder Wochen?) Flüchtlinge einziehen werden. 420 auf eine Dorfwiese am Hamburger Stadtrand. Ohlstedt heißt der Stadtteil, den viele mit Ohlsdorf verwechseln.

10-Personen-Zelt unter Bäumen

Ich finde richtig, dass hier ein Flüchtlingsdorf hinkommt. Auf der Wiese wohnen die Maulwürfe, hin und wieder kommt ein Zirkus, Hundebesitzer führen ihre Hunde aus, mitunter sitzt sogar jemand auf einer Decke. Aber meistens ist niemand da. Die Leute hocken in ihren eigenen Gärten oder beim Eismann am Bahnhof, der übrigens sehr gut ist. Die Hundebesitzer haben hier in dieser Gegend auch quadratkilometerweise anderes Grün, die brauchen die Wiese nicht. Die Zeiten, in der sie ein Treffpunkt oder Bolzplatz war, sind eh lange vorbei. Danach war sie nochmal ein Kartoffelacker, aber das war nach dem Krieg.

Was mir viel mehr Sorgen macht, sind ganz andere Dinge: Die Größe der Zelte zum Beispiel. Was für ein Stress für die Menschen, die darin wohnen müssen. Hoffentlich bekommen Sie bessere Toiletten als diese Dixi-Klos, die gerade um die Wiese stehen. Vom Jahrmarkt oder Campingplatz kenne ich fahrbahre Toilettenwagen, die an die Kanalisation angeschlossen werden. Die wünsche ich mir dahin und ausreichend Waschräume. So, dass niemand lange anstehen muss und die Privatsphäre erhalten bleibt.

Bundeswehr-Soldaten bauen grüne 10-Personen-Zelte auf.

Ich wünsche mir auch, dass jede und jeder in den Zelten einen kleinen Schrank für das Nötigste hat und vielleicht einen Vorhang um dahinter zu verschwinden, wenn es mal zu viel wird. Dass es Gruppenzelte als Treffpunkte gibt, in denen zum Beispiel eine Tischtennisplatte stehen kann oder auch ein Regal mit Spielen. Langeweile ist schrecklich, besonders, wenn sie mit Unsicherheit und Angst gepaart ist. Und davon haben die Menschen, die kommen, sicher ohne Ende. Wie gut, wenn sie sich ablenken können. Denn ihnen bleibt nichts als Warten darauf, ob sie anerkannt werden und bleiben dürfen. Und wenn ja, was dann? Und wenn nein, was dann? Und was macht die Familie? Wie geht es der Mutter, der Schwester, dem Sohn…?

Sollte es die Möglichkeit geben, Kuchen zu bringen, mit Menschen zu reden oder auch mit ihnen Deutsch zu lernen, mache ich das gern, soweit meine Arbeitszeit es zulässt. Ich finde, jeder hier sollte ein bisschen Zeit aufbringen um zu helfen, dass es allen gut geht. Wir wissen noch nicht, ob Kinder, Frauen oder Männer kommen. Ich hörte, sie kämen hauptsächlich aus Syrien, aber ich weiß nicht, ob es stimmt. Ich weiß nur, dass sie vorher ein anderes Leben hatten, Ärzte, Anwälte, Polizisten, Schuster, Kaufleute, Versicherungsangestellte, Lehrer, Ingenieure, Handwerker waren – nicht „Flüchtling“.

Hoffentlich gibt es eine soziale Betreuung, nicht nur einen Wachdienst. Hoffentlich gibt es Ansprechpartner für die Bewohner – und auch für die Anwohner. Ich bin heute zweimal an der Wiese vorbeigegangen. Einmal hörte ich welche sagen: „Aber die müssen doch nicht in so einer großen Gruppe untergebracht werden!“. Doch wie und wo denn dann? Täglich kommen gerade etwa 200 nach Hamburg, alle brauchen ein Bett – und ein bisschen Frieden.

In der Kirche habe ich angerufen, weil ich gehört hatte, dass sich dort erste Hilfe formiert. Sie rufen mich wieder an, es haben sich schon einige gemeldet, das freut mich. Die Grünen sind wohl auch recht aktiv. Irgendwann soll es eine offizielle Infoveranstaltung geben, bisher gab es nur ein Flugblatt. Das finde ich nicht gut, ich denke, die Bürger müssen abgeholt werden – gerade die, die Ressentiments haben. Schließlich will man wissen, was vor seinem Vorgarten passiert. Das kann ich verstehen, das will ich ja auch. Wenigstens einen Infostand könnten die Behörde hinstellen. Und ja, dahinter müsste eine Person stehen, die geduldig Fragen beanwortet und sich ein Ohr abkauen lässt.

Container hätte ich übrigens besser gefunden. Jemand sagte, es gäbe keine mehr, sie seien „ausverkauft“. Ob das stimmt? Keine Ahnung. Aber diese Zelte, und der Herbst kommt… dann müssen die Menschen vielleicht über den durchgeweichten Platz gehen zu irgendeiner Dixi-Klo-Bude… und haben das alles nicht gewollt. Wären lieber zu Hause. Würden ihr Leben in einem friedlichen Land weiterleben, wo kein Arsch Chemiewaffen einsetzt, Köpfe abhackt oder alle Männer erschießt und die Frauen versklavt.

Jedenfalls hoffe ich, dass die Ohlstedter ihre Herzen öffnen und den Flüchtlingen helfen, so gut sie können. Sie annehmen, freundlich zu ihnen sind. Danach kann ja jeder wieder in seinen Garten gehen. Der ist bestimmt groß genug. Jedenfalls größer als so ein Platz in einem Zelt irgendwo in einem fremden Land.

07. August 2015 von Britta Freith
Kategorien: Fensterblick, Stilkritik | 10 Kommentare

Kommentare (10)

  1. Wir haben hier schon 500 Flüchtlinge in der Stadt, die nach und nach in Wohnungen ziehen, wenn sie gute Chancen auf eine Anerkennung haben – was bei Menschen aus Syrien oft der Fall ist. Bei uns hier kam vor einigen Wochen über Nacht auch eine Erstaufnahmeeinrichtung dazu, 150 Flüchtlinge wohnen jetzt in einer Turnhalle und ziehen demnächst in eine leerstehende Schule. Die Kommunen werden, so scheint es, momentan von den Bezirksregierungen sehr spontan mit den Aufgaben konfrontiert und sind personal unterbesetzt. Hier hatten und haben die Stadt, die Malteser und das DRK die Regie und in der Eile klappt nicht alles reibungslos, aber die Menschen sind mit Hilfe vieler ehrenamtlicher Helfer eingekleidet, mit Hygieneartikeln versorgt worden und auch bei der Essensausgabe in der Schulmensa ginge ohne die Ehrenamtlichen nicht viel. Hier braucht es zur Hilfe bei der Essensausgabe eine Bescheinigung über eine absolvierte Hygieneeinweisung, es gab die Anweisung, dass man kein Essen spenden sollte/durfte, aus hygienischen Gründen, Sicherheitsgründen, sowas. Erst wurden alle untersucht und so weiter. Ich begleite jetzt immer wieder vor allem syrische Flüchtlinge, die die Anerkennung bekommen haben, zum Rathaus und zum Jobcenter, wir organisieren Möbel und Babysachen und Kleidung und Willkommensfeste und so weiter. Der Zulauf in Sachen Hilfsbereitschaft ist in Castrop glücklicherweise enorm, auch wenn bei Facebook einige besorgte Bürger die Foren betrollen. Es gibt ganz viele tolle Menschen und Begegnungen mit den Flüchtlingen und auch mit den anderen Ehrenämtlern, die Hilfe macht auch richtig Spaß, man lernt ne Menge.

    Die Container (zum Beispiel Duschcontainer) sind derzeit schwer oder nicht zu bekommen, das hab ich auch schon gehört, auch Zelte gibt es nicht unendlich viele. Ich hoffe, dass vor allem die Behörden schnell arbeiten und durch eine schnellere Bearbeitung der Anträge der Stau in den Erstaufnahmelagern schnell abgebaut wird …

  2. Liebe Britta Freight, diese Worte hätten auch von mir sein können. Genau so sehe ich das. Ich bin zwar gerade 75 geworden, aber trotzdem würde ich mich dort gerne einbringen. Einfach nur mit den Flüchtlingen reden und dann sehen, wo Hilfe benötigt wird. Mein Mann ist Phys. Ingenieur (auch 75) und war oft in arabischen Ländern (speziell Jemen) tätig, versteht fremde Mentalitäten sehr gut. – Hoffen wir alle, dass es dort friedlich bleibt. Ich schäme mich, wenn einige Leute dummes Geschwätz von sich geben. Habe mich gefreut, wieder von Ihnen zu lesen. Bis bald – vielleicht sehen wir uns dort mal persönlich.

  3. Wie auch schon 1990-1995 gibt es nach wie vor nicht genug psychologische Betreuer, die zudem auch noch der anderen Sprache mächtig sind. Vieles mag sich seitdem geändert haben, das leider nicht. Zu dem was sich sonst geändert hat hat Prantl viel Weises gesagt, Prantl, der schon 1990 die humanitäre Fahne hochhielt. Ich jedenfallls wünsche mir, dass sich die von ihm angesprochenen Furchtbarkeiten von 1991 und 1993 nicht wiederholen, auch nicht in Ohlstedt oder anderswo. http://www.ndr.de/info/sendungen/kommentare/Humanitaet-ist-die-Aufgabe-der-ganzen-Gesellschaft,fluechtling282.html

  4. Ich bin erst seit ein paar Stunden zurück in HH und weiß auch erst seit gestern von der Situation hier vor Ort. Heute Morgen habe ich in zwei ortsansässigen Geschäften den Eindruck einer deutlich negativen Stimmung bekommen und durfte einigen abgedroschenen, pauschalen Abfälligkeiten und „Klassikern“ lauschen… Wie angenehm, jetzt diesen Kommentar zu lesen! Vielen Dank.

  5. Hallo, ich freue mich über den positiven Bericht und die Kommentare. Wenn die Flüchtlinge da sind möchte ich gern Haushaltswäsche, Sachen und viele andere Dinge Spenden. Machen Sie weiter so. Danke

  6. ich hoffe, dass die deutschen Waffenexporte in Krisengebiete beendet werden, dass die Multis die Länder nicht mehr ausschlachten, die Amis keine Konfliktherde mehr inszenieren dürfen und die Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkönnen

    • @ Susa: Toll, ganz genau den Kern getroffen. Unsere westlichen waffenexportierenden Regierungen stehen hinter diesem Flüchtlingselend! Die deutsche Regierung mischt überall mit! Mit Geld, mit Waffen, mit Soldaten! Aufgrund dieser beschämenden Tatsache ist es unsere Pflicht diesen Menschen zu helfen und uns für unsere Politikmarionetten zu schämen.

  7. Ein ganz wunderbarer Text, liebe Britta – all diese Wünsche und Hoffnungen teile ich mit dir.

  8. Danke, Britta.
    Danke für diese unaufgeregten, ganz augenscheinlich von Herzen kommenden Worte und Deine Ideen und Gedanken.

    Ich drücke Euch allen im Umfeld dieser Unterkunft fest die Daumen, dass man das Beste draus macht und die Geflüchteten ein bisschen zur Ruhe kommen können. Und dass es um sie herum ruhig bleibt, willkommenheißend, menschlich.

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