Von tollen Menschen und etwas Matsch

Gestern Nacht bin ich aufgewacht und habe lange wach gelegen, obwohl ich sehr müde war. Draußen tobte nämlich ein Gewitter und es goss. Da ich manchmal unter meiner blühenden Fantasie leide, habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, wenn eine Mutter mit kleinem Kind (oder eine Frau allein oder ein Mann allein) den ganzen weiten Weg vom letzten Zelt bis hin zu den Sanitärcontainern auf dem Ohlstedter Platz gehen muss. Nicht bei 20, sondern bei 5 Grad. Der Gedanke war mir so schrecklich, dass ich nicht wieder einschlafen konnte.

Noch sind die Zelte allerdings fast leer, zumindest wohnen keine Menschen drin. Nur ein Zelt ist sehr voll: Darin sind die Spenden der Ohlstedter Bürger – und sicher auch von Bürgern aus anrainenden Stadtteilen. Wahnsinn! 70 Kinderreisebetten gab es heute Nachmittag, 13 feste Kinderbetten, 3 Wiegen und Zustellbetten. Dazu Matratzen, Kinderschlafsäcke, Decken, Kissen… Listen anbei. Viele Kinderreisebetten sind sogar neu, weil einige losgefahren sind, um sie mal eben zu kaufen. Das ist sehr großzügig.

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Alles, was auf der Liste steht, ist noch in Ohlstedt. Heute morgen wurden 25 gebrauchte Betten weitergegeben an die Flüchtlingsunterkunft in den Messehallen. Dort gab es nach Auskunft von Herrn Dietrich (s. letzter Beitrag) nicht ein Kinderbett. Angeblich gibt es dort auch keinen Sielanschluss – und wenn das stimmt, gibt es immerhin alle Gründe, sich kräftig zu wundern.

THW-Laster

Der THW-Laster brachte die 25 Kinderbetten Richtung Messehallen. Ich hoffe, es wurde dort noch ein Ansprechpartner gefunden, denn der THW-Mitarbeiter versuchte sehr lange herauszukriegen, wo er die Betten eigentlich abliefern soll.

Doch bevor ich wieder zum Sanitärthema komme, will ich mich noch eine Runde weiterfreuen. Denn heute morgen sah es im Sammelzelt noch so aus:

Viele Reisebetten durcheinander im Zelt

 

Und abends dann so, weil wieder viele Fleißige da waren. Sie haben sortiert, Betten zusammengebaut und so gut es ging katalogisiert:

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Heute mussten leider einige Spendenwillige wieder weggeschickt werden. Das tut natürlich weh und wirkt auch irgendwie doof. Tatsache ist aber: Noch gibt es keinen Platz für Kleidung und Kinderspielzeug. Ein bisschen davon war schon angekommen. Ein kleines Bisschen haben wir dabehalten, den Rest auch Richtung Messehallen weitergegeben. Das klingt vielleicht undankbar, aber es geht nicht anders, weil wir die Sachen nirgendwo lagern können. Das Zelt kann nicht dauerhaft als Lager besetzt bleiben, denn dort sollen letztlich Flüchtlinge rein. Im Augenblick können die Betten aber noch darin bleiben. Doch akut ist die dringende Bitte, wenn überhaupt, dann nur Betten zu spenden. Dabei sollte man wissen, dass die Betten eventuell weitergegeben werden – für den gleichen Zweck, aber eben woanders hin.

Beim Bettenaufbau.

Beim Bettenaufbau.

Es gibt jetzt auch immer mehr Stimmen von offizieller Seite (Polizei, Behörde), die bitten: Alles mit der Ruhe. Das hat einen Vorteil: Die ersten Flüchtlinge kommen erst am Freitagmorgen, nicht schon am Mittwoch. Es gibt also mehr Zeit, dass alles fertig wird. Das ist gut. Wir werden aber wohl bis zur letzten Sekunde nicht wissen, wer nun eigentlich kommt. Heute Abend war eine Mitarbeiterin von Fördern und Wohnen vor Ort, die schon einmal einen kurzen Blick auf die Unterkunft werfen wollte. Claudia, Christiane und ich haben sie ins Spendenzelt gebeten und sie war eine ganze Weile sehr baff. Einerseits war sie bestimmt beeindruckt, aber ich glaube, es war ihr auch ein bisschen unheimlich. Sie war sich vermutlich nicht sicher, ob sie es mit Großherzigkeit oder überschäumendem Eifer zu tun hatte.

Wir konnten sie beruhigen und haben ihr gesagt, dass die Ohlstedter gern helfen, aber nicht behindern wollen. Dass allen daran gelegen ist, dass es ein positives Miteinander wird. Dass die Menschen vor Ort sich deswegen so engagieren. Viele haben sich bereits in eine Liste eingetragen und aufgeschrieben, was sie konkret machen könnten: Von der Begleitung beim Arztbesuch über Deutschunterricht bis hin zur Kinderbetreuung. Im Gegenzug hat die Mitarbeiterin von Fördern und Wohnen (sie wollte nicht namentlich genannt werden) uns einiges erzählt und um einiges gebeten. Ich liste ihre Wünsche und Anregungen mal so auf, wie ich sie mitnotiert habe. Die Frau hat Erfahrung, sie leitet bereits zwei Erstaufnahme-Unterkünfte.

  • Bitte kein Willkommensfest. Keine Ballons, keine Kuchen. Zumindest nicht in der ersten Woche. Die Menschen, die kommen, sind traumatisiert, haben viele tausend Kilometer hinter sich. Die wünschen sich nichts mehr als ein vorläufiges Ziel, an dem sie sich einrichten können. Das dauert in der Regel ein paar Tage. Die erste Frage nach drei oder vier Tagen sei dann meist, wie man einen Asylantrag stellen könne. Eine Woche braucht es etwa, bis alle Abläufe in der Unterkunft klar sind. Danach kann man über eine Veranstaltung nachdenken.
  • Die Mitarbeiter in der Unterkunft müssen jeden Ankömmling im Computer erfassen. Soweit ich verstanden habe, ist dieser Computer offline, alles muss neu eingegeben werden. Mit Glück gibt es eine Stunde vor Ankunft der Bewohner eine Liste, mit Pech nicht. Es gibt Menschen mit unterschiedlichem Status: die Festaufnahmen und die Notaufnahmen. Die Festaufnahmen hatten schon vorher die Nachricht bekommen, dass sie in Hamburg bleiben dürfen. Sie haben bereits ein Hygienepack bekommen sowie Kissen und Decke. Die Notaufnahmen haben das noch nicht; das sind die, die spontan ankommen und verteilt werden. (So zumindest die kurzgefasste Version.) Die sind aber auch noch nicht richtig erfasst. Auch für diese ganzen Vorgänge wird die erste Woche benötigt.
  • Hilfsangebote bitte gebündelt vortragen. Es hilft nicht, wenn jede und jeder einzeln vorbeikommt, um mal hallo zu sagen. Dass es eine Liste gibt, ist super. Dass dort konkrete Angebote draufstehen, ist noch besser. Begleitung zu Ärzten ist zum Beispiel gern gesehen. Auch Sportangebote – aber nicht nur. Die Vielfalt macht es. Was letztlich wirklich sinnvoll ist, kann dann mit den Sozialarbeitern vor Ort abgesprochen werden. Nicht erlaubt sind eigenmächtige Besuche in den Zelten. Die Zelte selbst sind ohnehin tabu, weil die Privatsphäre der Menschen geschützt werden soll. Am besten wäre es, wenn wenige besonnene Menschen die Hilfe langfristig organisieren. In der Matthias-Claudius-Kirche werden, nach allem was man hört, gerade die Weichen entsprechend gestellt
  • Beim Verteilen von Geschenken (z.B. Kleiderkammer) heißt es, sehr vorsichtig zu sein. Man muss wissen, worauf man achten muss. Da kann man sich Tipps holen, und sei es von anderen, erfahrenen Ehrenamtlern. Denn viele nehmen wohl erstmal, so viel sie bekommen können, und sortieren hinterher aus. Ein typisches Verhalten in Notzeiten, kennen viele noch von den Großeltern: Nur nichts verkommen lassen! Es ist aber wohl schon dazu gekommen, dass Kleidung dann hinterher weggeschmissen gefunden wurde, weil es sich die Leute anders überlegt haben. Das führt dann auf Geberseite zu Verdruss.

Das mag viele erstmal enttäuschen, aber es klingt für mich recht schlüssig. Es wurde anerkannt, dass die Menschen hier in Ohlstedt helfen möchten, es wurde auch über das große Engagement gestaunt, aber es wird gebeten, alles überlegt zu tun. Also müssen wir unsere Ungeduld und Aufregung alle etwas im Zaum halten.

OSB-Platte und Luftdurchlässiges Gewebe als Zeltplane: So sehen die sogenannten Kita-Zelte aus.

OSB-Platte und Luftdurchlässiges Gewebe als Zeltplane: So sehen die sogenannten Kita-Zelte aus.

 

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„Sogenannt“ schreibe ich, weil sie auf dem Lageplan so genannt werden. Spätestens ab November eignen sie sich wohl eher als Unterstand, denn als wirklicher Aufenthaltsort.

Beim Stichwort Aufregung fällt mir wieder ein, was mich wirklich seit Tagen beschäftigt: die Lage des Platzes. Ich habe ja schon einmal erwähnt, dass es dort eher feucht ist. Der Boden schwingt, wenn man drüber geht. Nachdem es vergangene Nacht so gegossen hat, sieht der Platz auch schon reichlich benutzt aus. Der Rasen löst sich auf – leider nicht in Wohlgefallen, sondern in Matsch. Nun sollen ja die zentralen Wege befestigt werden. Nur glaubt niemand so wirklich dran, dass das hilft. Zumindest nicht von den Ohlstedtern, mit denen ich gesprochen habe. Ein paar Tage Regen und das Wasser drückt auch von unten hoch. Der Garten unseres Hauses ist 100 Meter weiter. Da steht das Wasser in ausdauernden Pfützen wenn es mal eine Woche regnet.

Ich hätte ja gern mal reingeguckt: Leider war keiner der Sanitärcontainer geöffnet.

Ich hätte ja gern mal reingeguckt: Leider war keiner der Sanitärcontainer geöffnet.

 

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Spuren.

Eine Wette mit mir selbst habe ich bei diesem Zelt laufen:

Teichlage: idyllisch oder fußkalt?

Teichlage: idyllisch oder fußkalt?

Es liegt abschüssig am Teich. Ich stelle mir vor, wie das Wasser drunterdurchläuft und die Geschichte langsam nach unten rutscht. Oder ob man drumherum nur prima im Matsch suhlen kann? Jemand sagte heute, auf dem Platz rieche es schon, wie bei einem Festival. Kann ich nicht beurteilen, aber es riecht… matschig. Jedenfalls habe ich heute die gespendeten Kindergummistiefel lieber beiseitegestellt. (Was keinesfalls heißen soll, dass jetzt noch mehr geliefert werden sollen!)

In den kommenden Tagen gibt es viele Gespräche, am Donnerstagabend um 18 Uhr die offizielle Infoveranstaltung im Gymnasium Ohlstedt. Alle warten, was weiter passiert.

 

11. August 2015 von Britta Freith
Kategorien: Fensterblick, Ohlstedt | Schreibe einen Kommentar

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