Jedem seine Blase – und eine Nadel zum Zerplatzen

Der Deutschlandfunk war heute live auf der Bildungsfachmesse Didacta. Hier geht es um Themen wie Qualität von Bildung, Unterricht an Schulen und aktuell eben auch Digitales – und wieder einmal zweifle ich daran, dass Lehrer Onlinekompetenz auf aktuellem und hochwertigem Level vermitteln können.

Erasmus von Rotterdam in seiner Filterblase

Interviewt wurde Florian Nuxoll, Lehrer für Gemeinschaftskunde und Englisch und außerdem Co-Autor eines Buchs „Medienwelten“ aus dem Diesterweg-Verlag. Der Moderator fragte ihn, ob Schüler denn in der Facebook-Filterblase gefangen seien. Hätte er ja auch gedacht, antwortete Nuxoll, aber die meisten Schüler seien ja gar nicht mehr bei Facebook, sondern bei Instagram oder Snapchat. Dort aber gebe es keine Filterblase.

Ich habe mir das noch einmal nachträglich angehört, ob ich das vielleicht falsch verstanden hätte: Vielleicht sollte es nur um die Facebook-Filterblase gehen. Aber nein, es ging um die Filterblase, das ominöse Ding, das uns alle gefangen hält. Während Francis Bacon beim Vergleich der Welt mit einer Blase noch ihre Zerbrechlichkeit und Endlichkeit beschrieb, war der Musikband Eiffel65 im Jahr 1999 schon lange vor Facebook klar, dass wir alle zwangsläufig einen beschränkten Horizont haben: Living in a bubble.

Erasmus hat das Blasenthema auch aufgegriffen, ich finde es gerade leider nur auf Englisch:
„Man is but a bubble. The lesson of this proverb is that there is nothing so fragile, so fleeting and so empty as the life of man. A bubble is that round swollen empty thing which we watch in water as it grows and vanishes in a moment of time.“ (Die Zeile „Man is but a bubble“ kommt übrigens auch im Computerspiel EVE von Peter Gabriel vor, hat mich 1997 schwer beeindruckt.)

Auf der gleichen Website, die darauf verweist, wird auch Robert Dosley zitiert, einer der Verleger von Samuel Johnson (Das ist der mit dem ersten englischen Wörterbuch.):

Man’s a poor deluded bubble,
Wand’ring in a mist of lies,
Seeing false, or seeing double,
Who would trust to such weak eyes?

Entschuldigung, ich verliere mich. Was ich sagen wollte: Schulen und Online, das scheint nicht zu gehen. Wenn ein Lehrer, der sich als onlinekundig bezeichnet, nicht weiß, was die Filterblase ist, wie will der Mann dann seinen Schülern deutlich machen, dass es mehr gibt als das, was sie automatisch in ihre Timeline gespült bekommen? Der behauptet, auf Instagram oder Snapchat gebe es keine Filterblase? Weiß er denn, dass man in den Beiträgen auf Instagram nicht einmal verweisende Links setzen kann, sondern nur Hashtags, über die man das Publikum oder Thema findet? Und dass Snapchat auf eine komplett andere Art funktioniert? Diese flache Filterblasen-Aussage erschreckt mich ähnlich wie die Aussage einer Lehrerin meinem Sohn gegenüber: „Und wenn du fürs Abi übst, dann guck auf die ersten Google-Ergebnisse. Lehrer tun das auch.“ Hoffentlich nicht nur.

Wissenserwerb ist Arbeit, heute vielleicht doppelt so sehr wie früher. Immerhin konnte man bis in die 1990er nur in die Bücherei oder in ein Archiv gehen, Kataloge wälzen und hat so dann das verfügbare Angebot gefunden (wenn vielleicht auch nicht bekommen, das war manchmal schwierig). Heute erhält man bei der Onlinesuche viele Ergebnisse, die man verifizieren muss, die guten von den schlechten unterscheiden, bewerten. Das ist weit mehr Aufwand. Irgendwann steht man vor der Frage, wann man aufhört.

Kommen wir auf die Zitate oben zurück: Die habe ich ergoogelt. Manche habe ich gesucht, weil ich mich grob an sie erinnerte, andere aber habe ich neu gefunden. Nein, ich weiß nicht, ob sie überhaupt wahr sind, denn ich habe keinen Doublecheck gemacht. Würde ich wissenschaftlich arbeiten, müsste ich das aber tun. Dann müsste ich recherchieren, was Erasmus von Rotterdam genau gesagt hat. Ich vermute, er hat als Gelehrter auf Latein geschrieben, so wie es im 15. Jahrhundert üblich war. Man sieht, ich komme vom Hundertsten ins Tausendste.

Zurück zum Interview. Ich gucke mir auch den Journalisten an: Hätte er nicht nachfragen müssen? Bei den klassischen Medien habe ich immer noch häufig das Gefühl, dass sie von „online“ nur die dumpfe Ahnung haben, dass es vielleicht gefährlich ist. Da stehen sie vielen Lehrern in nichts nach. (Auch vielen Eltern nicht. Schon mal auf einem Elternabend „Facebook“ oder ein anderes schlimmes Wort gesagt? Macht immer noch Laune.) Kürzlich habe ich auf NDR-Info, glaube ich, in einem Beitrag gehört, dass jeder Artikel auf Wikipedia von einer Redaktion überprüft würde und nichts freigeschaltet werde, was nicht stimmt. Stöhn. Nein, so ist es nicht, und außerdem ist die Wikipedia ehrenamtlich, hat zwar einen Kodex, aber keine objektive, institutionelle Kontrolle.

Ich wünsche mir sehr, dass in den Bereichen Journalismus und Schule die Bildungsangebote aus der freien Wirtschaft angenommen werden. Dass sowohl bei der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern als auch an Journalistinnenschulen und –akademien Profis unterrichten, die ihr Geschäft aus der Praxis kennen. Die wirklich erklären können, was eine Filterblase ist, wie Social Media und Vernetzen funktionieren und wie man damit warum umgeht. Nur so können wir eine medienkompetente Gesellschaft haben, die nicht auf Bots, Fake News, Blasen und Blubberer hereinfällt.

15. Februar 2017 von Britta Freith
Kategorien: Journalismus, Medien, Online, Stilkritik | 4 Kommentare

Kommentare (4)

  1. Ja, ich erinnere mich da gerne an den Lehrer, der noch vor wenigen Jahren „Videotext“ für eine in einem Lehrbuch unbedingt notwendige Vokabel hielt …

    Im Ernst: erschreckend. Aber wohl die Normalität, nicht nur an Schulen, sondern im Grunde überall. Umso wichtiger, immer wieder deutlich zu machen, was Filterblaseneffekte sind und welche Folgen sie haben. So wie mit diesem Artikel. Danke dafür!

  2. Liebe Britta, Du sprichst mir so aus der Seele. Ich biete meine Seminare für Lehrerinnen und Lehrer an – aber es gibt Fortbildungsstellen, die sagen „Nö, mit Privatleuten arbeiten wir nicht“ – dabei lehre ich sowas ja auch an der Uni, aber da ist offenbar keine Referenz im Schulbereich – und zu den Seminaren von Bildungsträgern, die mich ins Programm nehmen, können nur beschränkt Leute auftauchen. *hach ich könnt mich gerade aufregen habe aber keine Zeit dazu*

    • Das ist interessant, Heike. Ich habe vor einigen Jahren einen halbherzigen Versuch in die Richtung gestartet und sehr blasierte Antworten bekommen. Danach habe ich die Idee nicht weiter verfolgt. Meine Erfahrung zeigt aber: wichtig, wichtig, wichtig.

  3. Traurig, gelt? Und dabei sehe ich dann an der Uni, mit welchem (Nicht)Wissen die Studis dort aufschlagen. In einer Zusammenstellung von Studien zu Mediennutzung und -kompetenz von Jugendlichen sind („Grunddaten zu Jugend und Medien 2017“) sie aber fest davon überzeugt, alles zu wissen und zwar besser als Eltern und Lehrerinnen. Es darf ja nicht sein, dass die Vermittlung von Internet- und anderen Medienkenntnissen nur vom jeweiligen Engagement der Lehrperson abhängt, ob sie sich damit befasst oder nicht. Offíziell ist da jetzt eingies gefordert, aber die Umsetzung …?
    Mir liegt das Thema sehr am Herzen und ich werde weiter versuchen, Schulen, Lehrerinnen und Lehrer zu erreichen.

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