Einfach mal sitzen bleiben. Zeitoasen.

Bei der Menge an Rezensionsexemplaren, die sich gerade auf meinem Schreibtisch häuft, hätte ich gerne die Fähigkeit parallel zu lesen. Oder meine Zeit zu verdoppeln. Gut, dass eins der Bücher „300 Tipps für mehr Zeit“ heißt. Eine Soforthilfe gegen Alltagsstress. Das habe ich zwar noch nicht durch, aber es war klein genug für die U-Bahn und meine volle Laptoptasche und hat mir heute Morgen schon einige Denkanstöße gegeben – schon deshalb, weil ich über meinen Umgang mit Zeit zunächst nachgedacht habe, bevor ich richtig ins Buch einsteigen konnte.

Mir ist nämlich aufgefallen, dass ich in den vergangenen Wochen wegen steigenden Drucks versuche, mir kleine Rastplätze im Alltag zu bauen – Zeitoasen. Mitunter führen die zu mehr Gelassenheit. Und das ist verflixt gut so. Folglich versuche ich diese Ruhepunkte bewusst anzusteuern. Ich plane sie ein, auch wenn das schwierig ist. Denn so paradox es klingt: Gerade, weil sie objektiv Zeit kosten, wirken sie entspannend. Ich schenke mir Zeit, ich gönne mir Zeit, ich nehme sie mir. Denn, so weit bin ich in Cordula Nussbaums Buch schon gelangt: Zeit ist das einzige, wovon alle Menschen jeden Tag die gleiche Menge bekommen. Immer 24 Stunden. Und weil die mir gehören, darf ich mir ja wohl regelmäßig Scheiben davon abschneiden.

Eine wichtige Zeitoase wurde mir heute morgen bewusst. Zwei Tage in der Woche arbeite ich nämlich in einer Agentur und muss deswegen U-Bahn fahren. Vom Stadtrand in die City, das dauert eine gute halbe Stunde. Anfangs bin ich von einer Linie in die nächste, wollte schnell und clever von hier nach da kommen. Aber das war Stress pur! Kampf um Sitzplätze, dreimal aufstehen, umsteigen, hinsetzen, hier zieht’s, da klemmt meine schwere Tasche, der Typ neben mir bräuchte mal ein Deo… Dreimal auf ein neues Abteil einstellen, weil ich oberirdisch (mehr Licht!) fahren und möglichst direkt vor der Bürotür ankommen wollte. Danach erstmal Tee kochen oder mich von der Espressomaschine anfauchen lassen – vor neun Uhr morgens! Das ist doch kein Leben.

Neuerdings bleibe ich sitzen. Weil ich an der Endhaltestelle einsteige, ist es noch leer und ich kann mir einen ungestörten Eckplatz aussuchen. Vielleicht mache ich mich einen kleinen Tick breiter als nötig, um später Platz abgeben zu können. Ich versinke in meinem Buch. Ich fahre die Hälfte der Strecke im Dunkeln, unterirdisch. Aber ich habe meine Ruhe, muss weder aufspringen, noch Ellbogen in anderer Leute Rippen donnern. Wenn ich aussteige, ist die U-Bahn so angenehm leer, dass ich ohne zu drängeln rauskomme kann – die Haltestelle ist nicht ganz so frequentiert, wie meine bisherige, die meisten sind vorher schon weg.

Ich gehe fünf Minuten länger. Dort habe ich mein Licht und dazu noch Luft. Auf dem Weg (den ich variiere!) sehe ich Schaufenster, neue Läden, rieche aufgebrochene Erde (die Baustellen), sehe die Alster. Dann kaufe ich mir einen großen Kakao, lächle die Frau hinter der Theke an und überlasse die sprotzende Kaffeemaschine ihrem Schicksal. Tatsächlich: Damit geht es mir besser. Und bin immer noch kurz vor 9 Uhr da.

16. November 2007 von Britta Freith
Kategorien: Entspannen, Zeitmanagement | Schlagwörter: | 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. Hallo,
    Gratulation zu Ihrem Blog. Originell und schön gestaltet.

    Zum Thema „Zeitmanagement“. Das Problem mit Tipps zu diesem Thema ist: die Menschen ohne Zeitprobleme wenden diese Tipps einfach an oder sind meist selbst darauf gekommen. Die Menschen mit Zeitproblemen kennen meist die „Zeitspar-Rezepte“, wenden sie aber nicht an.

    Nicht weil sie doof sind, sondern weil das Thema „Zeit“ viele Aspekte berührt. Der grundlegende Denkfehler ist ja, dass Zeit sprachlich verdinglicht wurde. Deshalb auch die Begriffe, Zeit sparen, gewinnen oder totschlagen. Aber die Zeit ist kein Ding.

    Wenn es Sie interessiert: auf meinem Blog gibt es einen längeren Beitrag dazu. Übrigens auch als Podcast anzuhören: http://tinyurl.com/2km9ly

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