Preisansage: ein Tischlerinterview
Menschen aus kreativen Berufen kennen das Problem: die Preisfrage. „WAS? SO? TEUER? IST? DAS?!!!!“ ist die dazugehörige, gefürchtete Kundenreaktion. Gern gebracht werden auch „Aber das Konzept ist doch nur eine DinA4-Seite lang.“, „800 Zeichen tippe ich in weniger als 2 Minuten.“, oder „Mein Internetprovider hat auch Webbaukästen.“. Nun denn, so ist es. Ich will das Thema hier gar nicht vertiefen, sondern erzählen, was ich bei einem beruflichen Netzwerktreffen in Kaiserslautern entdeckt habe. Nämlich ein Schild in einem Schaufenster:
Zuerst hatte ich die Möbel angeguckt, es war nämlich ein Möbelgeschäft. Nachdem mir gefiel, was ich sah, wollte ich wissen, was es kostet. Und entdeckte außer dem Preis auch Materialbedarf und Zeitaufwand für die guten Stücke. Was für eine Idee! Da wurde jedes „Das ist aber ganz schön teuer!“ mit simplen Fakten weggewischt. Das wollte ich mir näher angucken, das sprach mich und meine tägliche Erfahrung als Unternehmerin direkt an. Außerdem gab es in dem Laden auch noch eine Kunstausstellung, die brauchte schließlich Besucher.
Bei diesem Stummen Diener, eine Tischlerarbeit der Holzwerkstatt, musste ich übrigens an Magritte denken. Der ausstellende Bildhauer, von dem die folgende Skulptur stammt, war Franz-Josef Vanck aus Krefeld, dessen Arbeiten mich zum Teil ein bisschen an Giacometti erinnerte.
Zeit, mit dem Tischlermeister zu sprechen. Marcel Wiehn war vielleicht etwas verdutzt, aber er hat bereitwillig meine Fragen beantwortet. 1981, direkt nach seiner Lehre, hat er sich mit einem Freund selbstständig gemacht. 1989 zog die Holzwerkstatt nach Finkelbach, wo es einen renovierungsbedürftigen Bauernhof gab. Aber das erzählt Wiehn am besten selbst.
Wie ging es also los?
Wir hatten keine Finanzierungsplanung und keine Fremdmittel, sondern haben immer, wenn Geld übrig war, die nächste Maschine gekauft. Nach Frankelbach ging es, weil wir einen alten Bauernhof mit Garten fanden, der nicht kaputtsaniert war. Acht Jahre später haben wir die Scheune zur Tischlerwerkstatt ausgebaut. Dann stand der gegenüberliegende Hof leer, und wir haben ihn dazuerworben, die Scheune ausgebaut und zum Ausstellungsraum gemacht. Das Gute: Wir haben dort einen Trockenraum.
Das heißt was genau?
Das Holz wird in Dielen angeliefert und besäumt. Wir schneiden also die Rinde ab, und dann kommt es in die Trockenkammer. Wenn das bereits gelagerte Holz beim Händler in der Lagerhalle sitzt, nimmt es wieder Feuchtigkeit auf, wie ein Löschpapier. Darum geben wir es noch einmal ungefähr 14 Tage in die Trockenkammer. Harte Hölzer wie Eiche brauchen länger, Erle geht etwas schneller.
Sobald der Ausstellungsraum da war, haben Sie angefangen, Künstler einzuladen. Wie läuft das?
Wir machen das seit 1996/97. Es gibt die unterschiedlichsten Kontakte, wir entscheiden nach Bauchgefühl. Ich bin ja kein Kunstkritiker. Wir besuchen selbst Ausstellungen, wir kontaktieren Künstler oder sie fragen uns. Wir bekommen auch viele Empfehlungen, wenn jemand zu uns passt.
Und seit 2012 gibt es diesen Laden in Kaiserslautern.
Seitdem wir den Laden haben, hat sich viel verändert. Wir sind ja nur ein kleiner Betrieb, machen kein Kulturmanagement. Das passiert alles in unserer Freizeit.
Jahrelang gab es im Sommer und Winter eine Ausstellung und ein Konzert im Hof, in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Kaiserslautern. Seit 2,5 Jahren haben wir den Laden und damit die Aktivitäten in Frankelbach auf ein bis zwei Konzerte im Jahr reduziert. Die sind ganz unterschiedlich: Jazz, Klassik, gerade hatten wir Klezmer – wie es kommt und je nachdem, was zu uns passt. Auf jeden Fall keine Volksmusik. Das läuft gut, es kommen zwei- bis dreihundert Besucher pro Konzert.
Der Grund, dass wir hier Künstler ausstellen lassen, ist auch zu fragen: Womit umgebe ich mich? Dazu gehören Möbelstücke, ein schönes Bild, aber auch Kleidung oder die Tasse, aus der ich meinen Espresso trinke. Derjenige, der sich gern mit schönen Möbeln umgibt, ist auch offen für angewandte Kunst und schöne Kunstobjekte – und umgekehrt. Derzeit haben wir meist eine Einzelausstellung mit einem Künstler, im Frühjahr und vor Weihnachten Gruppenausstellungen. Das wird in Kaiserslautern und der Pfälzer Region bis hin in die Frankfurter Gegend und das Saarland gut angenommen.
Die Ausstellung ist jetzt das ganze Jahr über im Laden.
Wir haben immer Möbel, die wir selbst entworfen haben. Die kann man natürlich auch so kaufen, aber sie sind auch Anregung, was möglich ist. Möbelgeschäfte, in dem die Inhaber selbst bauen, gibt es in wenigen Städten. Die Präsentation ist sehr wichtig, man muss das Holz anfassen und die Möbel sehen. Das ist das Wesentliche. Man muss das Rohmaterial sehen und begreifen, dass aus diesem Stamm jetzt eine Vitrine entsteht. So bekommt man einen anderen Bezug zu den Möbeln. Im Möbelhaus sehe ich zehn Regalwände, suche etwas aus und bekomme irgendetwas geliefert. Das ist etwas komplett anderes.
Ich komme auch bei meinen Kunden vorbei, investiere Zeit, wir lernen uns kennen. Die Kunden haben Ideen, ich mache Entwürfe – das ist bis zum Kostenvoranschlag unverbindlich. Dann kann sich der Kunde entscheiden.
Ich bin ja neugierig geworden und in den Laden gekommen, weil die Arbeitsstunden auf den Preistafeln stehen. Das ist ungewöhnlich.
Es ging darum, Transparenz zu erzeugen. In dem Moment, in dem ich Materialbedarf und Arbeitsaufwand dazuschreibe, kommen wir ins Gespräch – und wir erfahren eine Wertschätzung. Die Kunden merken, wir sind ein Handwerksbetrieb. Da werden nicht irgendwie Holzplatten zusammengeschraubt, da steckt mehr hinter.
Ich kenne aus meiner eigenen Branche als Konzeptionerin und Texterin, dass es Menschen gibt, die viele Anregungen und Kostenvoranschläge holen, dann aber nie wieder kommen.
Man bekommt ein Gespür für die Kunden. Es gibt immer welche, die sich drei Zeichnungen machen lassen und dann woanders hingehen. Das ist unser Los. Aber durch den intensiven Kontakt haben wir gute Ergebnisse. Auch mit der Zahlungsmoral habe ich kaum Probleme. Ausschreibungen machen wir kaum mit. Da fehlt der persönliche Kontakt komplett, die Preisdifferenzen liegen bei 50-60%. Das ist vertane Zeit. Die investiere ich lieber in Kundengespräche, da ist die Erfolgsquote 8:10. Bei einer Ausschreibung liegt sie bei 1:10 und der Aufwand ist wegen des vielen Papierkrams immens. Da geht es nicht um Qualität, sondern um Zahlen.
Die Kunden vergleichen auch, aber wir haben eben keinen Zwischenhandel. Wir können daher viel ausgleichen. Wir agieren in einer Nische, in der wir existieren können.
Was ist denn das Schönste für Sie?
Das Schönste ist zu sehen, was man mit den eigenen Händen machen kann. Ich habe viel Kundenkontakt, daher viel Einblick in anderer Leute Leben. Ich mache einen Entwurf, ich liefere an, ich sehe die Reaktionen. Die Rechnungsstellung am Ende ist natürlich auch schön.
Weil ich Angestellte habe, komme ich leider nicht mehr so viel in die Werkstatt. Ich bin nicht mehr vom Anfang bis zum Ende bei einem Prozess dabei – höchstens, wenn ich etwas für mich selbst baue.
Schön ist auch der Geruch: Jeder Dritte, der hier in den Laden kommt, sagt, es riecht so toll. In der Werkstatt ist das noch viel intensiver. Wenn man z.B. Kirschbaum aufschneidet, riecht es süßlich. Hölzer wie Eiche sind relativ streng, die reizen die Schleimhäute. Kirschholz dagegen ist angenehm. Es gibt so viele tolle Hölzer, ich weiß gar nicht, welches das schönste ist.
Haben Sie denn auch Kontakt zum Baum direkt, oder ist es eher das Holz?
Als Tischler arbeite ich natürlich am ehesten mit dem Holz. Manchmal bekommen wir Stämme angeboten, aber in der Regel ist es geschnittenes Holz. Vielleicht bietet uns jemand einen schönen Nussbaumstamm aus seinem Garten an. Wenn der erst fällt, muss man ja ein paar Jahre warten. Aber wenn der schon eine Weile liegt, können wir das Holz mit der eigenen Trockenkammer weiterverarbeiten.
Gibt es einen Traum, den Sie beruflich noch verwirklichen wollen?
Toll ist die Wertschätzung mit Laden und Ausstellung, wenn Leute sagen: Das ist eine Bereicherung für die Stadt. Hoffentlich gibt es das weiter, das wäre ein Riesenkompliment für uns. Alle Aussteller, die bei uns in Frankelbach auf dem Hof waren, kommen gern wieder. Ich mag es, all die Arbeiten, Ideen und Lebensweisen kennenzulernen. Das kann man nicht mit Geld aufwiegen.
Vielen Dank für das spontane Interview, über das ich übrigens die eigentlich geplante Stadtführung ganz verpasst habe! Aber eine Stadt erschließt sich eben nicht nur auf einem Weg. Danke auch für die beiden Bilder, die ich mir von der Website der Holzwerkstatt schnappen durfte.
Die nächste Ausstellung in der Holzwerkstatt wird abstrakte Acrylmalerei von Gerhard Lämmlin sein – sie läuft vom 10.10.-08.11.2014
Die Holzwerkstatt gibt es an zwei Orten: Der Laden ist in Kaiserslautern am St. Martinsplatz, die Tischlerei mit Ausstellungsräumen in Frankelbach.
Alle Termine, wie zum Beispiel die Holzwerkstatt vor Weihnachten ab dem 22. November mit vielen verschiedenen Ausstellern, gibt es auch hier.
Ein einladendes Konzept, ein sympathischer Unternehmer – wenn ich mal wieder in der Region bin, schaue ich mir das auch an. Danke fürs Entdecken, Aufschreiben und Weiterleiten!
Eine Frau kommt aus beruflichen Gründen in eine Stadt, geht in ihrer Freizeit durch die Straßen in einen Laden, macht spontan ein Interview und bereitet es absolut lesenswert auf …
… DAS nenne ich Profi durch und durch – und von dieser „Sorte“ wünsche ich mir noch ganz viele Kolleginnen, die mit offenen Augen Themen wahrnehmen und spontan umsetzen.
DANKE, Britta!
Ich bin sehr gerührt von deiner Reaktion, Michaela, es überkam mich halt so.
Pingback: WAS? SO? TEUER? IST? DAS?!!!! | Branko Čanak
Alle reden von Transparenz. Und von Storytelling. Die wenigsten wissen, wo und wie sie das umsetzen könnten – wenn sie denn überhaupt was mit diesem neumodischen Zeugs anfangen können…..
Was Britta Freith hier tut, ist ein absolut überzeugendes Beispiel: wunderbar alltäglich-glaubwürdige Geschichte und ein Lehrbeispiel für die unabdingbare Transparenz. Und zwar die Transparenz von Preisen für Dienstleistungen von Selbstständigen. Und dann noch am Beispiel eines durch und durch sympathischen Tischlers, der ganz genau weiss, was er tut. Und das ist dann noch mal eine Geschichte für sich… Toll! Könnte ein Lobbyauftrag für Storrytelling zugunsten verzweifelt um Preisakzeptanz kämpfender Selbstständiger welcher Branche auch immer gewesen sein… Isses aber nich. Was es nur noch überzeugender macht. Danke!
Zunächst einmal ist „Klezmer“ natürlich auch Volksmusik, nur eben keine „deutsche Volksmusik“. Ansonsten empfinde ich den Artikel als sehr lesenswert, nur aus einer für mich absolut fremden Welt.
Wenn ein Tisch 3000€ kostet, dann sind das zwei Monatsdurchschnittsverdienste! Da kann der Künstler noch so viel Kontakt mit dem Holz haben …