Die Irren aus dem Freizeitpark

Achterbahn

Es ist halb 12 Uhr nachts. Ich sitze mit einer anderen Freiwilligen am Telefon und bespreche E-Mails. Unser Problem: In drei Tagen wollen ungefähr 40 Schüler in der lokalen Kleiderkammer mithelfen. Die Hamburger Schulen haben nämlich Projektwochen, da hatten ungefähr alle Lehrer Hamburgs die Idee, dass man doch mal den Flüchtlingen helfen könnte. Wir haben zwar nicht zugesagt, aber die Erwähnten sind fest entschlossen, dabei zu sein. Dazu kommen einige Projektteams, die gerne Filme drehen oder Fotos  machen würden. Mehrere Fernsehsender, darunter ein Krankenhaus-TV, wollen auch da sein. Die Kleiderkammer hat zwar am Donnerstag nicht geöffnet, aber was soll’s. Irgendwie haben sie sich alle angemeldet und werden vor Ort sein – wir doch dann bitte auch? Willkommen im Flüchtlings-Freizeitpark, machen Sie es sich gerne bequem. Eine Fotografin hat sich auch angekündigt, sie möchte über Flüchtlinge berichten, „zur Not einfach auf eigene Faust, weil ich es wichtig finde.“ Ja, wer nicht?

Es ist unglaublich, was wir in den vergangenen Wochen an Medienanfragen bekommen haben. Der Wunschinterviewpartner sämtlicher Fernsehsender hatte am Anfang Ressentiments, ist nun aber ganz froh, endlich Flüchtlingen helfen zu können. Leider, leider, LEIDER habe ich diesen Interviewpartner nicht. Vielleicht bastle ich ihn aber noch, damit alle zufrieden sind. Für das ideale Fernsehsetting brauchen wir nämlich: 1. den begeisterten Helfer (m/w), 2. den entsetzten Anwohner (m/w), 3. den geläuterten Anwohner (m/w), 4. den freudigen Flüchtling (m/w). Und BITTE noch ein handfestes Problem, das wir gemeinsam lösen.

Wir haben übrigens ein Problem hier in Hamburg-Ohlstedt: Wir brauchen eine neue Kleiderkammer. Momentan sind wir übergangsweise und kostenlos in einem Schulpavillon, der zum Abriss bestimmt ist. Es regnet rein, es gibt keine Heizung, es ist zu klein. Denkbar wäre auch eine Gemeinschaftskleiderkammer mit anliegenden Stadtteilen. Unter 300 qm ist es sinnlos (wenn wir nur für unseren Stadtteil denken). Momentan organisieren wir alles über Spenden und Spendengelder. Wir hoffen demnächst mit der Stadt reden zu können, wie es weiter gehen kann. Im Augenblick ist einfach zu viel los – auf beiden Seiten. Bestimmt rufen bei der Stadt auch ständig die Medien an. Mal abgesehen davon, dass Flüchtlinge da sind, um die es eigentlich geht. Aber das ist vielleicht gar nicht so wichtig. Hauptsache, die richtigen Bilder sind da.

(Die Autorin dieses Beitrags betreut ehrenamtlich die Öffentlichkeitsarbeit für die Initiative „Ohlstedt hilft“ im Norden Hamburgs. Und ja, sie weiß, dass dieser Beitrag überzogen ist. Aber nur ein kleines Bisschen.)

 

 

14. September 2015 von Britta Freith
Kategorien: Ankommen, Medien | 3 Kommentare

Kommentare (3)

  1. Ich habe herzlich gelacht 😉

    Falls alle Stricke reißen würden wir uns zur Verfügung stellen. Wahlweise für 1. den begeisterten Helfer (m/w) UND/ODER 2. den entsetzten Anwohner (m/w) UND/ODER 3. den geläuterten Anwohner (m/w).

    Für 1. hätten wir ‚Wir sind alle Flüchtlinge – irgendwie‘-Plakate, die wir hochhalten könnten, dazu würden wir ganz betroffen schauen.
    Für 2. hätten wir mehrere Sätze, die mit „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen…“ oder „Ich habe a überhaupt nichts gegen Ausländer, aber…“ beginnen, im Angebot.
    Für 3. würden wir mit Aussagen wie „Anfangs waren wir im Baumarkt um für unser Grundstück Bewegungsmelder und Videokameras zu kaufen, man hört ja so viel.
    Aber heute filmen wir uns mit den Kameras beim Tanzen und Lachen zusammen mit unseren Lieblingsflüchtlingen.“ zur Verfügung stellen.

    Hauptsache wir sind dabei und machen den Horst!

  2. Pingback: Septembergeschichten | Ich lebe! Jetzt!

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