Lieber die Moderne statt Kate küssen

Ich war im Musical, noch dazu in Kiel. Beides mache ich sonst nicht, denn ich bin kulturell eine arrogante, progressive Großstädterin mit Geschmack.* Wenn ich im Theater etwas nicht aushalte, gehe ich raus. Ich nörgle und benehme mich eklig usw. usf. Außer, ich führe eine alte Dame aus, die gern mal wieder Kiss me, Kate sehen möchte. Dann bleibe ich natürlich.

Immerhin waren die Dame und ich uns in Teilen einig: ziemlich viel Klamauk und ganz schön verstaubt. Für die, die es nicht mehr kennen: Kiss me, Kate ist ein Musical von Cole Porter, das mal sehr beliebt war. Evergreens wie Schlag nach bei Shakespeare, Wunderbar oder Viel zu heiß erfreuten früher gemischte, sangesfreudige Skatrunden und Heinz Schenk.

Das Erlebnis in Kiel hätte ich für mich behalten, wäre das Theater nicht ausverkauft gewesen. Das ist ja an und für sich gut, ich mag ausverkaufte Häuser. Juchu! Aber in diesem Fall… sehr schaler Beigeschmack. Das Stück ist altmodisch inszeniert. Ein Historienschinken auf der Bühne, wenn man es gut meint; reaktionär, wenn man ein Wort bemühen möchte, das auch die Skatrunde oben versteht. Spießig. Altmodisch. Frauenfeindlich.

Soweit, so historisch. Das Problem dabei: Die Zuschauer waren nicht nur Herrschaften jenseits der 70, sondern offenbar wurden busseweise Jugendliche in dieses Musical gekarrt. So um die 14, mit artig gekämmten Scheiteln und mindestens Sakko wenn nicht gar im kompletten Anzug mit Krawatte. Der Mann an meiner Seite behauptete „Louisenlund„, aber ob das so ist, weiß keiner von uns. Ist im Grunde auch egal, aus ganz schlechtem Haus kamen die jungen Herren jedenfalls nicht, das war zu sehen. Es gab auch junge Damen, die reichlich aufgerüscht waren – ich bin in dem Alter immer in Jeans ins Theater geschlurft, weil gesellschaftspolitisches Statement und so. Tschuldigung, ich schweife ab.

Da sind also diese jungen Menschen (ich bin gerade gefühlt drei Altersplaneten von ihnen entfernt) und gucken sich diesen gequirlten Dreck an. Mit Frauen, die übers Knie gelegt werden, wenn sie nicht spuren, die reich heiraten wollen, die den Beruf aufgeben müssen, wenn sie an „seiner Seite“ bleiben möchten – und die dann doch den verwegenen Kerl nehmen, der sie betrügt und ein eitler Fatzke ist, aber er ist doch ein Kerl.

Alle tragen Kostüme wie Marika Rökk, wackeln ein bisschen mit dem Hintern, glucksen oder kichern, dürfen sogar eine Runde rumschreien – und ich denke an meine Kindheit und dass ich Musikantenstadl bis heute nicht gucke, aber alle anderen außer mir offenbar schon.

Wer sind nur die Verantwortlichen, die das diesen Jungs (und Mädchen) antun? Den Mädchen ist zugute zu halten, dass einige von ihnen nach der Pause später kamen, die Jungs saßen schon artig – und die Erzieher? Keine Ahnung. Wenn sie Geist hatten, waren sie sich besaufen gegangen. Vermutlich aber haben sie geklatscht.

Wie soll sich unsere Gesellschaft nur je grundlegend ändern, wenn Theater derartiges ohne einen Hauch von Distanz oder Deutung zeigen und Teenager hineingeschafft werden? Gibt es noch so etwas wie einen kulturellen Auftrag, wie künstlerische Scham? Ich glaube nicht, dass die Schülergruppen gerade die Unterrichtseinheit „Spießertum und Dorftheater“ hatten. Die nahmen das ernst. Und ich sehe das und bekomme Angst um dieses Land. Sehr große.

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* Bitte an dieser Stelle den ironischen Unterton beachten

27. Januar 2015 von Britta Freith
Kategorien: Medien, Meinung, Stilkritik | Schreibe einen Kommentar

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