ARD-Deutschlandtrend: Seltsame Stichprobe sorgt für Angst und schlechte Laune

Der ARD-Deutschlandtrend: Regelmäßig gucke ich drauf und ärgere mich über die blaugetünchten Braunkurve nach oben. Die Tagesschau und das Morgenmagazin melden brav, welche Partei bei der sogenannten Sonntagsfrage vorne liegt. Nun habe ich endlich mal auf die Zahlen dahinter geguckt und finde: Das ist doch wirklich Mumpitz, was da als Trend verbreitet wird! Noch interessanter: Die Kritischeren unter uns würden vermutlich nie gefragt. Zur Stichprobe gehören ohnehin nur 1191 Menschen. (Alle Quellen am Ende des Beitrags.) Diese Umfragen tragen also in meinen Augen dazu bei, dass falsche Eindrücke verfestigt werden und die Unsicherheit steigt.

Die Sonntagsfrage via Payback-Panel?

Gucken wir mal genauer hin: Die Interviews teilen sich in 699 Telefoninterviews und 492 Online-Interviews auf. Das sind knapp 60% Befragte am Telefon und gut 40% online. Bei den Onlineinterviews können wenigstens theoretisch alle erreicht werden, die eine Payback-Karte haben. Infratest-Dimap (I-D) schreibt in seinen FAQ: „Die Personen werden aus einem Pool von ca. 150.000 Personen des Payback Online Panels per Zufallsverfahren ausgewählt.“

Auf Payback gibt es sogenannten Panelisten, einige von ihnen sind aktiver, die würden vorzugsweise ausgewählt, heißt es. Sie könnten sich allerdings nicht aktiv für die Teilnahme an der Sonntagsfrage bewerben. Nichtsdestotrotz erhalten sie Payback-Punkte für ihre Teilnahme. Diese Punkte können laut I-D-FAQ für Prämien, Spenden oder Einkaufsgutscheine eingesetzt werden.

Payback-Punkte für Teilnahme am Deutschlandtrend

Payback (PB) schreibt auf der eigenen Website, die Panel-Mitglieder „seien ein exklusiver Kreis von PAYBACK-Kund:innen, die immer wieder an Online Befragungen teilnehmen.“ Die Einladung erfolgt laut PB-FAQ durch PB – auf einer Publikumsseite heißt es außerdem: „Interessiert? Vielleicht bist du ja beim nächsten Mal dabei, wenn wir wieder per E-Mail zum PAYBACK Panel einladen.“

Ich selbst habe und will kein PB-Konto, weil mir meine Daten recht heilig sind. Am Ende dieses Artikels findet ihr einen Utopia-Artikel, der beschreibt, warum die Teilnahme kritisch ist. Und so wie mir geht es vermutlich recht vielen informierten und datenschutzbewussten Menschen.

Telefonumfrage für den ARD-Deutschlandtrend

Aber weiter zur Telefonumfrage. Da sind ja 699 andere, die von der Meinungsforschung interviewt werden. Infratest-Dimap schreibt dazu: 

„Ein Computer greift auf eine Liste mit allen theoretisch existierenden Telefonnummern zurück und wählt daraus zufällig Telefonnummern für die Befragung aus. So erreichen wir auch Personen, die ihre Nummer nicht im Telefonbuch eintragen lassen.“

Es werden demach Festnetz- und Mobilnummern generiert. Über Festnetznummern erreicht man heutzutage vermutlich eher ältere Leute. Ich kenne viele, die diese Anschlüsse nur noch für betagtere Verwandte haben. Und wer von euch bekommt gern Anrufe von Unbekannten auf dem Handy – und die Leute am anderen Ende stellen euch recht kritische Fragen? Wahlgeheimnis? Was geht die Stimme am anderen Ende denn mein Alter und Wohnort an? Überhaupt habe ich meistens weder Zeit noch Lust auf Umfragen. 

Meine Vermutung: Hier antworten häufig Menschen, die gerade Langeweile haben oder die selbst mal Telefonumfragen machen mussten – dann haben sie vielleicht Mitleid.

Mein Fazit: Weg mit dem Deutschlandtrend…

…, wenigstens so, wie er zurzeit ist. Ich sehe die Gefahr, dass eine sehr eingeschränkte Klientel da ihre Stimme abgibt. Es sind gar nicht „die“ Online-Nutzenden, sondern es sind Payback-Kund*innen. Die Umfrage am Telefon beantwortet mutmaßlich nur eine bestimmte Gruppe von Menschen. 

Beim Festnetz stellt Infratest-Dimap fest, dass ältere Leute eher Offliner sind. Das lässt zwar nicht den Umkehrschluss zu, dass alle, die ans Telefon gehen, älter sind – von dem Verhalten in der eigenen Umgebung lässt sich jedoch möglicherweise ableiten, wie viele aus einer bestimmten Gruppe bei einer telefonischen Meinungsforschungsrunde dabei sind. Wer hat spontan Lust und Zeit?

Ich denke, die Zahlen der Sonntagsfrage lassen keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Stimmung zu. Aber sie machen es leichter, sich z.B. an einen Rechtsruck zu gewöhnen, weil es schon so lange heißt, dass es ihn gibt. Leute, die sich für Datenschutz einsetzen, werden vermutlich gar nicht befragt. Dafür jedoch Menschen, die gern um jeden Preis Payback-Punkte sammeln, und jene, die ans Telefon gehen, um Umfragen zu beantworten. Und das wird uns als repräsentativer Trend verkauft? Das halte ich für gefährlich.

An dieser Stelle übrigens hat die Tagesschau eine andere Umfrage zu Gewalt und Männlichkeit zum Glück kritisch hinterfragt: https://www.tagesschau.de/faktenfinder/umfrage-maennlichkeit-plan-100.html. Vielleicht ist dafür auch Zeit im eigenen Hause.


Quellen, abgerufen am 28.06.2023, 16:34

https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-3370.html.

https://www.infratest-dimap.de/service/faqs/

https://www.infratest-dimap.de/fileadmin/user_upload/FAQ_Online-Befragungen.pdf

https://www.payback-panel.de/faq.php?frmnd=home_new

https://utopia.de/ratgeber/payback-co-5-gruende-warum-du-keine-punkte-sammeln-solltest/

28. Juni 2023 von Britta Freith
Kategorien: Meinung | 3 Kommentare

Kommentare (3)

  1. Danke, liebe Britta, das finde wusste ich nicht und finde es sehr aufschlussreich.

  2. Auch von mir vielen Dank, liebe Britta – bin gerade über die entsprechende Debatte bei den Textinen hierher weitergeleitet worden. Vielleicht noch als Ergänzung: Ich wurde auch mal für eine solche Stimmungsumfrage angerufen, da ging es um eine Landtagswahl. Es wurde allerdings nicht mal gefragt, ob ich für diese Landtagswahl überhaupt wahlberechtigt war (ich war erst kürzlich zugezogen und war es nicht).

  3. Liebe Britta,
    auch von mir herzlichen Dank für diese Aufarbeitung, und dass Du Dir die Mühe mit der Quellenrecherche gemacht hast. In den Deutschlandtrend soll zu rund 40% auch eine Online-Umfrage eingehen, die auf Kunden eines Bonuspunkte-Portals basiert? Eine solche „Zusammenarbeit“ wäre erschreckend (unabhängig vom Ergebnis).
    Bzgl. der Telefoninterviews sehe ich das ähnlich, wie Du. Vermutlich werden nicht viele daran teilnehmen. Und wer es tut: Vielleicht ist das nicht unbedingt immer eine ältere Person, die dann den Trend nach „braun“ verschiebt. Sondern vielmehr eine Person (unabhängig vom Alter), die eine allgemeine Unzufriedenheit spürt und die an geeigneter Stelle „schon immer einmal dazu etwas sagen wollte“. Da ist eine anonyme Umfrage natürlich ein probates Mittel, um den eigenen Unmut kundzutun.
    Keine gute Basis für eine solch wichtige Erhebung.

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