Wiederfinden der Wurzeln

Als ich zum ersten Mal ein Stück Erde kartierte, war ich vielleicht 14. Meine Eltern wollten eine Garage auf das Stück Rasen neben dem Haus bauen. Wir reden von vielleicht 20 Quadratmetern, die versiegelt werden sollten. Ich schnüffelte mich über den regelmäßig geschorenen Rasen und schrieb auf, was da wuchs. Kennengelernt habe ich dabei Acker-Gauchheil (Anagillis arvensis). Der ist ziemlich klein, gehört zu den Primelgewächsen und blüht orange.

Acker-Gauchheil  (Anagallis arvensis). Foto: Christian Fischer CC BY-SA 4.0

Weder wusste ich, dass diese Beschäftigung „kartieren“ heißt, noch hatte meine Aktion Einfluss auf den Garagenbau. Das Stück Schurrasen gibt es noch heute, vielleicht weil ein Carport letztlich billiger war. Das mit dem Kartieren fand ich dann auch so langweilig, dass ich es nicht mehr oft gemacht habe. Obwohl es mir mit zunehmendem Alter tendenziell besser gefällt. 

Werde ich etwa genügsamer?

Nein.

Diese beruhigende Unruhe hat mich in den vergangenen Jahren zurück zu meinen Wurzeln geführt: Ich beschäftige mich wieder aktiv mit Natur. Noch bevor Greta Thunberg weltweit bekannt wurde, habe ich mich auf mein altes Bio-Studium besonnen und beschlossen, es zuende zu machen. Ich begann, wütend auf mich selbst zu sein: Wie konnte ich all die Jahre vergessen, wofür ich mit 16 noch vehement gekämpft hatte? 

„Kauf Klopapier nicht farbig bunt, dem Wasser schad’s bis auf den Grund“ lautete einer von vielen Aufklebern in den 1980ern. „Statt Kippen durch die Luft zu schnippen, schnipp lieber auf den Müll die Kippen“ ein anderer. Das fand ich lyrisch grauenhaft, inhaltlich jedoch sehr wichtig. Damals habe ich angefangen, Plastik zu meiden. Voll Avantgarde. 

Mit 16 war ich noch nie geflogen, mit Mitte 20 flog ich auf einmal ziemlich viel. Das war teuer, aber ich hatte einen Freund im Ausland. Und ja, ich wusste von den Auswirkungen vom Fliegen aufs Klima, aber ich habe es nicht weiter bedacht. Es wurde einem auch nicht ständig unter die Nase gerieben. Jahre später kam die Dekade der Städtetrips. Ich weiß gar nicht, warum und wann genau, doch auf einmal hatte die Sache einen schalen Beigeschmack. So lange her ist das nicht, dafür wuchs meine Abneigung gegen maßlosen Urlaubskonsum schnell. Dabei reise ich wirklich gern. Ich bin sicher, dass man es nutzen kann, um die Welt besser zu verstehen. Die Frage ist: Wie?

Ein Zug fast wie ein Flieger: Der italienische Schnellzug Frecciarossa. Foto: Britta Freith

Besinnen und Fokussieren

Ich merke, wie ich radikaler werde. Meine obrigkeitshörige Erziehung hält mich von Besteigungen und Besetzungen ab – manchmal bedaure ich das. Glücklicherweise kann ich schreiben, konzipieren, Medien produzieren. Ich weiß, wie Öffentlichkeitsarbeit geht, bin kreativ. Was für ein Segen. Auch, wenn ich das Kartieren mittlerweile richtig gelernt habe, muss ich es nicht tun, um für den Umweltschutz zu arbeiten, für soziale und Klimagerechtigkeit. Ich kann mein Wissen weitergeben, meine Neugier, meine Liebe zum Thema. Ich kann begeistern, vermitteln, argumentieren. Mein Kommunikationsberuf ist mein Schatz, den ich einsetzen kann. Für mich, für andere.

Ich krieche jetzt wieder über Wiesen und schule meine Artenkenntnis. Ich erweitere mein ökologisches Wissen. Ich experimentiere im Garten herum, vernichte Kirschlorbeer und Rhododendren. Werde noch richtig lange brauchen, bis ich all das weiß, was mich interessiert. Und finde genau dieses ständige Dazulernen, Recherchieren, Probieren perfekt.

Keine Ahnung, warum ich so lange gebraucht habe, um das zu entdecken. Manchmal schäme ich mich dafür. Dann wieder denke ich: Das ist halt mein Weg. Dafür kenne ich auch die anderen Seiten. Kenntnis und Verständnis helfen beim Überzeugen.

vermutl. Anagallis arvensis f azurea
Nochmal Acker-Gauchheil, diesmal auf Gozo. Vermutl. Anagallis arvensis f azurea. Foto von mir. Der dreckige Daumen auch.

Mit diesem Beitrag zur Blogaktion von Silke Bicker „Vom Wert der Natur in der Selbstständigkeit“ belebe ich dieses Blog wieder. Gerade ist es noch nicht so, wie ich möchte. Macht nichts, ich bin mit meinem Bachelor beschäftigt und arbeite auch noch für Geld. Und ihr wisst vielleicht:

Wenn zu perfekt, lieber Gott böse.
[Nam June Paik]

08. Dezember 2020 von Britta Freith
Kategorien: Natur, Texte | 2 Kommentare

24 Stunden sollte Wichtiges auch wichtig sein

Am Sonntag sind in München zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Hetze zu protestieren. #ausgehetzt Die Bild und der Focus erwähnten das zu diesem Zeitpunkt und auch heute mit keinem Wort in den Aufmachern, während der Begriff auf Twitter trendete, und sowohl SPIEGEL ONLINE als auch die Süddeutsche Zeitung darüber an erster Stelle berichteten.

Später am Tag gab #Özil bekannt, dass er nicht mehr in der Nationalmannschaft spielen will, weil ihm die Unterstützung gegen Rassismus im DFB fehle. Die Bild titelt heute “Jammer-Rücktritt” und “wirre Abrechnung”, während der Focus von “großer Inszenierung” redet. Von der Ausgehetzt-Demo: kein Wort. Besser kann man rechte und rassistische Gesinnung gar nicht fördern.

Aber auch der Spiegel hat die Demo nicht mehr auf der Startseite, bei der Süddeutschen verbirgt sie sich hinter “Die CSU hat Angst”. Zehntausende Menschen und ihr wichtiges Statement interessieren die Medien nicht mehr.

Demonstranten von hinten, Demoschilder

Dabei lesen viele erst heute, was passiert ist, weil sie gestern im Schwimmbad, am Grill, im Garten waren, einfach mal frei hatten. Wie das am Sonntag so ist. Auch sie sollten lesen können, dass dieser Sonntag mit der Münchner Demo für mehr Anstand etwas so Gutes mit sich brachte.

Selbst wenn die Daueronliner das Gefühl haben, sie müssten alle 3 Stunden etwas Neues bringen und der Münchner Auftritt fürs Gute sei schon wieder alt und egal: Er sollte es in der Berichterstattung noch nicht sein. Er verdient mindestens 24 Stunden und sogar einen Nachklapp. Er gehört auf die erste Seite, mit einer deutlichen Schlagzeile.

(Fotos: Michael Treske (1 u 2))

23. Juli 2018 von Britta Freith
Kategorien: Journalismus, Medien, Meinung, Politik | 3 Kommentare

Einseitige Gespräche (11): Gruselig und Weihnachtszauber

Im Moment fahre ich sehr viel U-Bahn, aber die Leute telefonieren nicht mehr ganz so viel – oder sie halten die Hand vor den Hörer. Andere wieder schalten den Gesprächspartner gleich im Videochat auf laut und vergessen ihre Umgebung. Manchmal aber sitzt ein altmodisches Gespräch direkt gegenüber. So wie hier. Mitte-Ende 40, weiblich, dem Alter entsprechend modisch gekleidet (“szenig”/Schanze, aber wohnt im Vorort).

Hallo Mausi!

Ja.

Gruselig.

Da müsste ein Päckchen heute angekommen sein. Das gehört untern Weihnachtsbaum.

Ja. Du bekommst das zu Weihnachten. Das ist von Tante Leni.

Ich bin um halb drei in A.

Ja.

Ja.

Kannst du machen.

Bis gleich.

Brauchst du noch was von Edeka?

Zimtsterne, ja.

Hab ich gestern schon Brot geholt, kannst du mal gucken?

Mh.

Wie bitte?

Was ist voller Schnee?

Dann muss ich nachher noch Brot mitnehmen. Was möchtest du denn zum Trinken mitnehmen zur Weihnachtsfeier?

Orangina?

Dann bis nachher! Tschühüß, Küsschen.

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Weitere einseitige Gespräche? Hier bitte.

13. Dezember 2017 von Britta Freith
Kategorien: In der U-Bahn | Schreibe einen Kommentar

Was ich mir jetzt wünsche #Wahl2017

Der Wahlausgang hat mich nicht überrascht, insofern spare ich mir Anmerkungen dazu. Ich bin allerdings überrascht, dass einige überrascht sind. Doch auch das will ich nicht weiter vertiefen: Jede Person lebt ihren eigenen Illusionen nach.

Nach der Wahl habe ich die Elefantenrunde und Anne Will geguckt. Mir gefielen die lebhaften und engagierten Diskussionen. Da waren erkennbare Meinungen und Positionen. Das habe ich in den vergangenen Monaten vermisst, dass PolitikerInnen deutlich zu ihren Themen standen und auch keine Angst hatten anzuecken.

Genau das wünsche ich mir für die Zukunft: Dass  auch die im demokratisch-freiheitlichen Denken verwurzelten Parteien keine Angst mehr haben, Ecken und Kanten zu zeigen. Dass sie nicht weiter versuchen, alle mitzunehmen, die ihnen eine Stimme geben könnten. Besonders wünsche ich mir, dass diese Parteien nicht am rechten Rand herumschippern, um geistig Verdunkelte wieder an Bord zu schöpfen. Sie sollen sich von den Nationalisten und Antidemokraten sehr fern halten und stolz auf ihre freie Haltung sein. Sie sollen mit eigenen Ideen und Programmen punkten und konstruktiv Demokratie, Menschen und Wirtschaft voranbringen.

Gleichzeitig sollen sie bitte soziale und integrative Programme fördern, und zwar für alle Gesellschaftsschichten. Es darf nicht vom Einkommen abhängig sein, welche Chancen man bei uns hat. Es darf auch nicht sein, dass geflüchtete Menschen, die ein, zwei, drei Jahre auf den Entscheid warten, ob und wie lange sie hier bleiben dürfen, in dieser Zeit nicht vernünftig Deutsch lernen können, weil sie keine Deutschkurse bekommen. Egal ob arm oder neu in diesem Land: Bildung ist für alle Menschen das Allerwichtigste. Hier muss das meiste Geld fließen. Ebenso wenig geht es, dass Wohnghettos mit neu Zugewanderten gebildet werden, die sich dann z.B. “Perspektive Wohnen” nennen oder “Folgeunterkunft”, in deren Umgebung aber keine Deutschen wohnen und der Bus nur einmal in der Stunde fährt. So geht Integration nicht, so schafft man frustrierte, chancenlose Menschen, die keine Mitbürgerinnen und Mitbürger werden können.

Außerdem wünsche ich mir, dass alle, die ihre Meinung sagen, das mit Haltung tun. Ehrenwert, mit Stil. Ich möchte gutes Benehmen, Offenheit, ohne vulgär zu werden oder hetzerische Parolen aufzugreifen. Was gesagt werden muss, soll weder in Euphemismen verkleidet, noch aus Mistkübeln verschüttet werden. Wer deutlich ist, kann dennoch freundlich sein. Offensive Freundlichkeit ist eine feine Sache, sie macht auch gute Laune, ohne einen blöden Nachgeschmack hinterher. Freundlichkeit wird unser Land sehr voranbringen.

25. September 2017 von Britta Freith
Kategorien: Ankommen, Politik | 1 Kommentar

Die Tücke von POS-Maßnahmen

Nicht jede lustige Marketing-Idee ist auch eine gute. Das gilt insbesondere dann, wenn zu viele unberechenbare Faktoren (= unbekannte Menschen) auf sie Einfluss nehmen.  Manchmal stirbt die Idee direkt vor Ort, so wie diese Quinoa-Keimlinge.

Dabei hat die Firma Bohlsener Mühle etwas richtig Gutes angestoßen: Sie vertreibt nämlich in Norddeutschland angebauten Bio-Quinoa. Auf der Website steht, was dahinter steckt, wie man ihn selbst anbaut, und gewinnen kann man auch etwas. Dass der Quinoa-Import aus Andenstaaten sehr problematisch ist, wurde hinreichend beschrieben, u.a. hier und hier. Umso schöner, wenn die heimischen Alternativen funktionieren.

Nur diese POS-Idee* funktioniert eben nicht. Vielleicht hätte ich sie mir, gartenbegeistert wie ich bin, zunächst auch so ähnlich ausgedacht. Leider sind die Mitarbeiter des Supermarkts, in dem der Aufsteller platziert wurde, nicht so pflanzenaffin wie ich. Oder sie haben nicht hinreichend Zeit – oder beides. Zwar haben sie die Saat noch ausgesät (wenn das mal nicht der Kundenbetreuer der Bohlsener Mühle selbst war),  die Samen wurden auch noch gewässert, aber dann sind die Keimlinge eingegangen. Irgendjemand, das kann man an den feuchten Stellen auf der Erde sehen, hat noch versucht, etwas zu retten, aber die Wassergabe kam zu spät. Und selbst, wenn es Quinoa gerne karg hat: Ganz so so trocken mochte er es dann doch nicht.

Der Text auf der Tafel ist vermutlich vorgegeben – er macht es noch schlimmer: Denn liebevoll gepflegt ist hier nichts, das fällt auch negativ auf den Supermarkt zurück: “Wenn die das als liebevoll bezeichnen, wie gehen sie dann erst mit dem nebenstehenden Gemüse um?”, könnten kritische Kunden denken. Wer ein bisschen Ahnung hat, findet vielleicht noch: “War immerhin so frisch, dass er keimte.” Aber dieses Fazit ist wohl eher unwahrscheinlich.

Die Bohlsener Mühle hat übrigens einen Pflanzwettbewerb, da kann man seinen fröhlich gewachsenen Quinoa fotografieren und einen Pflanzkasten gewinnen. Auf der Website findet man ihn. Da hätte ich doch die ganze Sache gleich anders angelegt: Verkauf des Quinoas mit deutlich sichtbarem Rezeptvorschlag und zusammen mit einem kleinen Saatset, das auch Kinder anspricht. Erzählen, dass man den Quinoa auch selbst aussäen kann und dazu aufrufen, sein Foto einzuschicken. Wenn es ein Produkt wie Quinoa-Kekse oder Kräcker gibt, auch davon noch eine Probe dazupacken. Im Gegenzug die Idee mit den toten Keimen einstampfen. Zum Beispiel.

Ich habe das schon öfter erlebt: In der Marketingabteilung haben Mitarbeiter eine schöne Idee, die aber unbedingt das Engagement des Verkaufsteams im Supermarkt fordert. Das kann man meistens vergessen. Erstens ist man nicht das einzige Unternehmen, das dort präsentiert. Die Mitarbeiter, die häufig nicht die Ladeninhaber sind, haben kein gesteigertes Interesse daran, ein Produkt zu promoten. Je zeitaufwändiger, desto schlimmer. Häufig sind es anhnungslose Marketingabteilungen, die Flyer, Rezepte, Merchandising-Produkte für die Tonne beauftragen. Alles sehr hübsch, aber oft ist dann das Feedback, dass es in den Märkten nicht genutzt wurde. Hergestellt, ausgeliefert, weggeworfen. Nicht an die Tüte an der Bedientheke getackert, nicht am richtigen Ort ausgelegt, nicht mit einem kurzen Verkaufsgespräch überreicht. In Zeiten des Fachkräftemangels und der Personaleinsparungen findet so etwas bis auf wenige Ausnahmen einfach nicht statt. Daher braucht es Ideen, die mit wenig Aufwand für die Verkäuferinnen in den Märkten quasi wie von allein funktionieren. Und Marketingabteilungen mit Fachwissen, die nicht daran glauben, dass die billigere Variante am Ende die günstigere ist. Ist sie nämlich auch hier wieder einmal nicht.

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*POS = Point of Sale – Verkaufsstandort bzw. Laden

14. Juni 2017 von Britta Freith
Kategorien: Garten, Marketing | Schlagwörter: , , , , | 4 Kommentare

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