Schwarzweißmalerei
In meiner Nachbarschaft wohnt ein krummgebeugtes Paar. Sie sind nicht alt: er vielleicht Ende dreißig, Anfang vierzig, sie Mitte dreißig. Sie geht krummgebeugt, weil sie immer einen Kinderbuggy vor sich her schiebt. Er geht krummgebeugt, weil er ziemlich groß ist, Aktentasche und Koffer trägt und gerne möglichst schnell am Ziel ankommen möchte; darum hat er es eilig. Da sein Körper so lang ist, muss er deswegen den Kopf vorschieben, dann sind wenigstens seine Augen einen Tick schneller.
Er sieht ausgesprochen nett aus, lächelt und grüßt immer freundlich. Sie kann, vermute ich, kein Deutsch, denn er spricht französisch mit ihr. Ich habe hallo gesagt, als ich an der Sandkiste vorbei ging, in der sie ein paar Mal mit ihrem Sohn saß, da hat sie gelächelt. Eine Nachbarin, die immer alles weiß, weil sie sich tagaus, tagein zwischen den Häusern herumdrückt, sagte mir, sie käme aus Ghana.
Er muss ziemlich viel auf Geschäftsreise sein, sie ist ziemlich viel allein. Ich sehe sie immer, wenn sie mit dem Buggy die Straße vor meinem Schreibtisch entlangschiebt, und neulich einmal in der Innenstadt. Sie trägt sehr modische Kleidung, stilvoll, und manchmal eine Art Turban dazu. Am Wochenende kommt er im Anzug, den Kopf weit nach vorn gestreckt, schnell von der Bahn nach Hause. Am Samstag und Sonntag sieht man sie beide. Als sie frisch eingezogen waren, im vergangenen Sommer, gingen sie noch nebeneinander und er redete viel auf sie ein. Jetzt gehen sie meist in ein paar Metern Abstand hintereinander her. Ich bin mir nicht sicher, wer dann den Buggy schiebt, weil sie beide ja krumm gehen.
Viele Leute, die hierher ziehen, sind bald wieder weg. Teure Mietwohnung am Stadtrand, Gegend, in der Unternehmen ihre leitenden Mitarbeiter parken. Einsame und Desillusionierte gibt es hier viele. Die Krummgeher machen mich traurig. Hoffentlich kriegen sie die Kurve.