Beitrag zum Politischen Blog-Karneval

Als ich diesen Aufruf im Onezblog las, musste ich einfach mitmachen. Hier ist also mein Beitrag zum politischen Blog-Karneval unter dem Titel:

„Politikverdrossenheit in Deutschland. Wohin fährt uns die Parteiendemokratie? Kritiken, Analysen und Utopien sind gefragt.“

Vor ein paar Tagen saß ich nach einem langen, gemeinsam durchgearbeiteten Wochenende noch mit einem Kollegen zusammen. Er aus dem Osten, ich aus dem Westen. In Rostock war die blutige Schlacht gerade zuende. Wir waren weit davon entfernt auf einer üppig umwachsenen Terrasse. Die Kerzen flackerten, der Wein schmeckte.

„Wäre ich da, würde ich auch mit Steine werfen“, sagte der Kollege (der, genau genommen, längst ein Freund ist). „Die Scheißbullen haben es doch nicht anders verdient.“ „Polizeistaat“ sagte er auch noch.

In meiner Erinnerung stand mein Mund wenigstens 5 Minuten lang offen, bevor ich etwas sagen konnte. Dieser sympathische, witzige Mann, Familienvater, nachgewiesen liebevoll und fürsorglich, der gerade in mühsamer Kleinarbeit ein Haus renoviert, der regelmäßig seinen Erste-Hilfe-Kurs auffrischt und bei einem Unfall der erste wäre, der aus dem Auto spränge, um zu helfen – dieser rundum bürgerliche, in die Gesellschaft eingegliederte Mensch wollte Steine (und Schlimmeres) werfen?

Als die Grenze aufging, waren wir beide höchstens zwanzig. Er hat die Wiedervereinigung gefeiert, ich nicht. Ich war für zwei parallel existierende Staaten. Vom Westen diktierte Einheit und Gesetze konnten meiner Meinung nach nur zu Identitätsverlust im Osten führen. Meine Idee war, dass sich die Menschen dort auf der Grundlage der eigenen Erfahrungen ein freiheitliches Demokratieverständnis erarbeiten müssten.

Daran dachte ich, als wir über Begriffe wie „Polizeistaat“ diskutierten. Fast natürlich kamen Supermarktweisheiten: „Der kleine Mann existiert doch gar nicht! Was die da oben machen, können wir nicht ändern.“

Ich kriege einen Hals, wenn ich so etwas höre, und beginne instinktiv mit dem Grundgesetz zu wedeln. Rede von aktivem und passivem Wahlrecht, Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung, all diesen Dingen. Von Grundrechten, auf die wir stolz sein können.

„Ja, aber was die alles machen…“ kommt dann als Argument. „Allein der Zaun in Heiligendamm. Das Wegducken vor den Amerikanern. Die neuen Reisepässe…“

Ja, stimmt. Das gefällt mir auch nicht. Aber anstatt nach oben oder auf andere zu zeigen, fange ich lieber hübsch bei mir an: Was habe ich getan, um meine Meinung zu äußern? Wann habe ich denn eine Bürgerinitiative gestartet? Friedlich demonstriert? Mich wählen lassen – und sei es nur beim Stadtteiltreffen? Wann habe ich Verantwortung für diesen Staat übernommen?

Eine Bekannte von mir schreibt, wenn es ihr wichtig ist, E-Mails an „ihren“ Bundestagsabgeordneten. Sie schreibt Briefe zu aktuellen Gesetzesvorlagen. Sie versucht aktiv Menschen von ihrer Meinung zu überzeugen. Das hat allein schon deshalb Erfolg, weil viele Abgeordnete von der Fülle der Anträge und Gesetzesvorlagen hoffnungslos überfordert sind. Wenn es nicht ihr Fachgebiet ist, heben sie möglicherweise irgendwann den Finger, nur weil die Vorrednerin gut aussah. Es sind MENSCHEN, die da sitzen, Menschen, mit denen man reden kann – und bei ihnen etwas erreichen.

Der Staat ist kein Abstraktum. Auch wenn er auf den ersten Blick vielleicht so wirkt. Der Staat sind wir alle. Man kann konstruktiv mitmachen, oder man lässt es, wie leider so viele. Aber meckern, während man 20, 40, 60 oder gar 80 Jahre auf seinem Hintern sitzt und genau nichts zu ihm beiträgt, außer Steuern zu zahlen (natürlich nur, um darüber zu meckern), das kann’s nicht sein.

Der Kollegen-Freund vom Anfang glaubt nicht daran, dass es etwas bringt, wenn man Dinge im Kleinen tut. Ich glaube, dass alle Dinge genau darin ihren Anfang nehmen. Zumal die Welt viel überschaubarer ist, wenn man nicht gleich 82 Millionen andere im Blick haben muss. Man kann dort beginnen, wo man ist. Nicht mit dem großen Wurf, der gleich perfekt ist. Wie will man denn bitte besser scheitern?

In diese Richtung lohnt sich zum Weiterlesen übrigens Karl Popper , auch wenn ich nicht in allen Punkten mit ihm einverstanden bin.

Vielleicht ist das alles jedoch ein bisschen viel verlangt – gerade, wenn man im Osten aufgewachsen ist und einem schon immer erzählt wurde, dass man selbst der Staat sei, zeitgleich aber wusste, dass es eben doch nicht so ist. Oder dass man eingesperrt wird, wenn man es anders, als nach Plan, versuchte zu sein. Wie soll man Vertrauen eingepflanzt bekommen haben in das, was sich bei uns Demokratie nennt? Demokratische Republik und demokratische Werte klingen vielleicht viel zu ähnlich.

Trotzdem gab es die Montagsdemonstrationen. Es gab all die, die den Mund aufgemacht haben. Sicher hat es gedauert. Genau, wie es mit der ökologischen Bewegung gedauert hat. Und wie es gedauert hat, bis es in Deutschland eine wirklich funktionierende Demokratie gab. Von 1919-49 waren es für den Westen 30 Jahre. Gesamtdeutsch gesehen haben wir 70 gebraucht. Und wenn man sich anguckt, was für abstruse politische Richtungen noch in der Weimarer Republik ihr Unwesen trieben, kann man nur sagen: Wir sind heute ganz schön gut davor.

Nur mitmachen muss man natürlich. Denn darauf gründet sich unser System. Wenn keiner mehr mitmacht, haben wir verloren. Das ist wie beim Fußball. Wenn keiner spielt, aber alle nur zugucken wollen, wird es verdammt langweilig.

Mitmachen kann man auch, indem man Steine wirft? Nö. Mal ganz abgesehen davon, dass Gewalt nie auf Zusammenarbeit hinausläuft, finde ich schon, dass der gute alte Kant, mit seinem kategorischen Imperativ ganz richtig lag:

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Ich möchte andere nicht körperlich oder seelisch verletzen, um meine Meinung durchzusetzen. Und ich möchte auch nicht, dass andere das tun – nirgendwo auf der Welt.

18. Juni 2007 von Britta Freith
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